Mittwoch, 6. August 2008

Von der Wahrheit


Wenn wir von Wahrheit sprechen, impliziert dies immer eine Nicht-Wahrheit. Bei dem Versuch, Wahrheit von Nicht-Wahrheit zu unterscheiden, stoßen wir auf die Schwierigkeit eine Einigung darüber zu erzielen, was Wahrheit sein soll. Eine allgemein gültige Definition entzieht sich dem Wesen der Wahrheit: Philosophie - Naturwissenschaft.

Was wir unter Wahrheit verstehen, ist unser Verstandes-Denken, dessen Wesen es ist Urteile zu fällen und recht behalten zu wollen. Wenn ich sage: „Richtig“, ist die unmittelbare Folge (des Verstandes), zu sagen „Falsch“. Wahrheit lässt sich (deshalb) nicht Denken - es widerspricht seinem Wesen.

Das Wesen des Verstandes ist Selbstreproduktion, oder anderes gesagt, Denken zielt darauf ab, sich selbst zu erhalten. Denken ist Nicht-Wahrheit, denn es zielt einzig darauf ab, recht zu behalten. Deshalb ist dem Verstand nicht daran gelegen, „in der Wahrheit zu sein“.

Wahrheit muss sich nicht selbst erhalten – sie IST. Verstand IST-NICHT.

Ob etwas ´wahr´ oder ´falsch` ist, hängt nicht von meinem Denken darüber ab. Wahrheit ist keine Haltung, die ich einnehme, weil es meinem (rechthaberischem) Verstand gerade so gefällt. „In der Wahrheit zu sein“ bedeutet Selbst-Sein. Das hat nichts mit meinem Verstand zu tun, der nur darüber urteilt, um Recht behalten zu wollen.

Wahrheit kann ich nicht denken. Entweder sie IST, oder sie IST-NICHT – ich (er-) lebe sie, oder (er-) lebe sie nicht. Mein Versuch, Wahrheit mit dem Verstand zu erschaffen, ist nicht möglich. Einzig mein Verstand denkt, er könne Wahrheit herstellen. Das geht nicht – weil mein Verstand Nicht-Wahrheit ist. Verstand ist Nicht-Selbst. Wahrheit ist Selbst.

„In der Wahrheit zu sein“, heißt nicht, ´authentisch´ zu sein, denn mein Verstand ist authentisch – er belügt sich eben gerne selbst. Daher ist Wahrheit nicht das, was ich darüber denke. Wahrheit ist auch nicht das, woran ich glaube. Glaube ist Denken – etwas Bestimmtes, sei so oder so. Das ist es nicht. Wahrheit ist kein Glaube – (beispielsweise) daran, das „Gott“ existiert und sich in der All-Einheit manifestiert.

In (der) Wahrheit kann ich nur sein. Aus dem (er-)leben des (in der Wahrheit) Sein, ist jede Lüge Nicht-Sein. „In der Wahrheit Sein“ schließt Unwahrheit aus. Aus diesem Grund ist Wahrheit auch keine Frage von Moral, weil Moral eine Konvention, eine Vereinbarung, unseres Verstandes ist. Wahrheit ist Selbst-Sein. Unwahrheit ist Nicht-Selbst-Sein, d.h. im Verstand Sein. Wo wir aus unserem Verstand heraus und in die Wahrheit gehen, sind wir (im) Selbst – üblicherweise sind wir (in unserem) Verstand. Im Verstand sein ist Nicht-Wahrheit. Jede Lüge ist deshalb Selbst-Betrug.


Selbst-Sein ist Wahrheit.

6 Kommentare:

Jasna Caluk hat gesagt…

Lieber Wilfried,

das, was IST entbehrt jedwede Definition (lat. de ab, weg; finis Grenze, also Definitio = Abgrenzung), nicht wahr?

Das Wort „Selbstverständlich“ verwende ich sehr häufig und nachdem, was Du hier schreibst ist es wohl so, dass das Ersetzen des Wortes „JA“ mit dem Wort „Selbstverständlich“ einer Nicht-Wahrheit (eben einer Lüge) gleichkommt. Die Wahrheit zu sprechen ist also immer eine Lüge, wenn ich das richtig verstanden habe. Oder anders: Es gibt die relativen Wahrheiten, die dann ja eigentlich Lügen sind, weil sie nicht sind, sondern sich bewegen und es gibt die absolute Wahrheit, die eben einfach IST. Mein Blog heißt ja „anthro growing truth“. Und ich zweifle jetzt daran, dass die Energie dieses Namens eine so positive Auswirkung hat, denn da sie sich bewegt, IST sie ja nicht mehr „Wahrheit“ sondern Lüge. Oh je.

Ich habe diesen Namen gewählt, weil es mir darum ging, relative Wahrheiten zu der EINEN Wahrheit zu führen, quasi Diesseitswahrheiten und Jenseitswahrheit ins SEIN und WERDEN zu bringen.

Eine relative oder irdische oder fundamentale Wahrheit ist, um Dein Beispiel aufzugreifen, die Definition der Farbe „Blau“, die sich nicht beweglich ist.

Eine andere Art der relativen Wahrheiten bezieht sich auf die menschlichen Emotionen (deshalb „anthro“), die ja schon beweglich sind und in ihrer Definition umgewandelt und zum Wachsen gebracht werden kann und dann letztlich zum SEIN führt.

So, jetzt bin ich etwas verwirrt, denn ich habe heute auch den von Sebastian Gronbach (http://anthronrw.blogspot.com) verlinkten Artikel über die Boomeritis-Falle gelesen und auch in Zusammenhang mit dem was Du über Wahrheit schreibst, komme ich ins Zweifeln, ob meine bisherigen Wahrnehmungen nicht in die völlig falsche Richtung gehen, nämlich dass Meine Wahrheit Mein Ausdruck Gottes Ist, denn davon bin ich zunächst einmal ausgegangen.

Na ja, ich danke Dir jedenfalls für Deine Beschreibung und muss noch mal genauer darüber nach-sinnen oder meditieren (oder werde ich doch nach-denken?).

Alles Liebe und herzliche Grüsse
Jasna

wilfried p. schmidt hat gesagt…

Liebe Jasna!

Ja, Wahrheit entbehrt jeder Definition; ganz einfach, weil sie sich nicht definieren lässt. Wahrheit Ist. Das ist alles. Jede Definition von Wahrheit, Liebe, Kosmos usw. kann deshalb nur Annäherung sein. Eine Definition ist halt eine Definition, und nicht die Wahrheit selbst. Deshalb gibt es „relative Wahrheiten“, wie du richtig sagst – dies eben, weil wir einen Verstand haben und den halt auch gebrauchen; ganz einfach, weil wir ihn nun mal haben. Die Erde z.B. hat kein Gehirn, wie wir es haben – gleichwohl lebt sie. Nur unser Verstand stellt dies in Frage, weil es sein Wesen ist, das zu tun – er ist halt (trotz allem) noch nicht sehr weit entwickelt.

„Niemand ist eine Insel“, d.h., wir Menschen sind vor allem auch soziale Wesen, und Beziehung ist eines der wesentlichsten Merkmale unseres Sein; oder anders gesagt, Beziehung ist überhaupt wesentliches Merkmal des SEIN.

Im Laufe unserer (menschlichen) Entwicklung hat sich bei uns vor allem unser Gehirn (Verstand), und damit einhergehend unsere Sprache ausgeprägt. Bei Walen und Delphinen z.B. „vermuten“ Wissenschaftler andere Ausprägungen – des „in Beziehung gehen“.

Sprache hat Wirkung – das ist wohl nicht zu übersehen. Deshalb musst du dir keine Gedanken darüber machen, ob sie „Lüge“ ist. Das ist sie nämlich keineswegs, wenn du sie als Mittel zur Kommunikation benutzt, um Dich, also Dein Selbst auszudrücken; denn wo du (dich) SELBST zum Ausdruck bringst, bringst du Wahrheit zum Ausdruck. Insofern ist also auch dein „Gefühl“ – das du ja als Wahrheit in dir erlebst - Ausdruck deines Selbst. Mit anderen Worten, Selbstausdruck, im Sinne einer sprachlichen Konvention ist immer eine „relative Wahrheit“ – das geht halt nicht anders. Es liegt in seinem Wesen.

Wichtig ist (die) Intention. Intention schafft den Kontext („relative Wahrheit“). Wo deine Intention aus deinem „Gefühl von Wahrheit“ kommt, ist sie der Wahrheit relativ nahe – mehr geht hier eben nicht. Lüge ist, wenn der Kontext ´Intention´ aus dem Verstand heraus kommt – etwa, wenn wir anderen unser Denken „aufzwingen“ wollen – das ist Nicht-Wahrheit. Ein anderes Beispiel: Wenn du jemandem sagst, „Ich liebe Dich“, kann dies aus dem „Gefühl der Liebe (Verbundenheit)“ geschehen, oder, weil du z.B. Angst davor hast, einen anderen Menschen zu verlieren. Das ist ein Unterschied, nicht. Solange deine Intention aus deinem „Gefühl der Wahrheit“ kommt, ist deine Aussage „Ich liebe Dich“ wahr – nur dann. Und dann schafft sie Wahrheit, weil Sprache eben Energie ist.

Wahrheit IST. Was aus Wahrheit geschieht ist (meist) relative Wahrheit - nur unser Verstand lügt.

Das Wesen des Kosmos ist Verbundenheit. „Gott“, Liebe, Wahrheit sind nur andere Bezeichnungen dafür. Wo wir aus (echter) Verbundenheit handeln, schaffen wir den Kontext `Wahrhaftigkeit´.

Du siehst, du kannst also eigentlich gar nichts falsch machen, wenn du aus dem Gefühl der Verbundenheit handelst. Und bedenke, das es dein Verstand ist, der (dich) verurteilt.

Mit verbunden Grüssen,
Wilfried

Anak hat gesagt…

Habe Geduld gegen alles Unbekannte in deinem Herzen und versuche die Fragen selbst liebzuhaben, wie offene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind... Forsche jetzt nicht nach den Antworten ,
die dir nicht gegeben werden können, weil du sie nicht leben kannst.
Lebe j e t z t die Fragen, vielleicht lebst du dann eines fernen Tages, ohne es zu merken, in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke

lili
Anka

Jasna Caluk hat gesagt…

Lieber Wilfried!

Ja, gerade in Bezug auf den Satz “Ich liebe Dich” scheiden sich wohl die Geister und die Wahrhaftigkeit dieser entweder selbst ausgesprochenen oder aber gesagt bekommenen Worte wird vom Verstand sehr schnell in Frage gestellt. Man zweifelt an der Wahrhaftigkeit gerade dann, wenn es keinen “Beweis” gibt, nach welchem wohl der Verstand verlangt, womit die Aussage “Ich liebe Dich” ja sofort zu einer Lüge wird, denn einen “Beweis” zu verlangen oder andererseits sogar bemüht zu sein, einen “Liebesbeweis” jemandem zu erbringen, macht aus der wahrhaftigen seienden Liebe eine relative sich verstandesmäßig verändernde Liebe, die man dann wohl als egobezogene Liebe bezeichnen könnte, oder? Habe ich das so richtig verstanden?

Also zunächst einmal behaupte ich (vielleicht etwas hochmütig) von mir, dass ich Menschen liebe, eben eine Form von universeller IST-Liebe. Ich gehöre nicht zu denen die ihre Mitmenschen ständig umarmen und küssen, nicht weil ich das nicht mögen würde (ganz im Gegenteil eigentlich) sondern vielmehr, weil mir dieses Umarmen einerseits etwas zu Wollend vorkommt aber ich andererseits auch Angst habe, abgelehnt zu werden. Und da ist dann tatsächlich gefragt, in wie weit meine behauptete IST-Liebe wahrhaftig ist. Solange ich meine Liebe nicht ausdrücke, kommuniziere kann sie auch nicht abgelehnt werden und somit geprüft werden, was natürlich wieder ein verstandesmäßiger Vorgang ist, jedoch vielleicht auch doch manchmal von Nöten ist. Also wird sich bei Ablehnung meiner Liebe mein Ego einstellen oder wird meine Liebe weiterhin Sein. Ich denke dass ist Spiritualität in Liebe im Leben leben und eine echte Herausforderung.

Nochmal herzlichen dank für Deine ausführlichen sehr verständlichen Erklärungen.

Und Dir, liebe Anka, danke für dieses schöne Gedicht.

Alles Liebe mit verbundenen Grüssen
Jasna

wilfried p. schmidt hat gesagt…

Hallo, liebe Jasna!

Auch Worte sind ja Energie, die sich im Hier-und-Jetzt manifestieren – sie schaffen also Realität. Realität ist der Raum, indem sich unser Sein materialisiert. Der Raum, aus dem heraus sich unser Sein materialisiert ist „Nicht-Raum“ – zeit- und raumlos. Nicht-Raum ist Wahrheit, Kosmos, Liebe, Verbundenheit,... – Nichts IST.

NICHTS, ist Seele – Weltenseele, die Alles vereint. Hier gibt es keine Trennungen, keine Unterschiede – es ist EINS. EINS materialisiert sich als Raum-Zeit – dem Kosmos. Hier nehmen wir uns selber (als Individuum) wahr – als Ausdruck der Vielfalt, geteilt und getrennt in Vielfalt.

NICHTS und Raum-Zeit sind aber nicht getrennt, nicht zwei verschiedene Dinge – sie existieren gewissermaßen gleichzeitig „am selben Ort, zur selben Zeit“.
Sein und Nicht-Sein sind ein und dasselbe. Raum-Zeit ist die Wirklichkeit („in“) der Unwirklichkeit. Was wir gemeinhin wahrnehmen ist die Wirklichkeit („im“ NICHTS), getrennt vom Sein – das macht unser Verstand, weil er so konzipiert ist (er kann halt nicht anders).
Unser Verstand ist es, der sagt „Ich bin – getrennt von Allem“, und misstraut (eben, weil es sein Wesen ist das zu tun) dem Sein.
So, trauen wir uns dann auch selber nicht, wenn wir sagen „Ich liebe Dich“. Hätten wir keinen Verstand, könnten wir das ja nicht sagen – und würden es also auch nicht so „wahrnehmen“, weil die Trennungen „im Kopf“ entstehen.
Es ist ja unser Versand, der sagt, ich bin mal lieber vorsichtig, und umarme die anderen nicht, weil... – und die anderen tun dasselbe, aus dem selben Grund.

Im Netz, also hier, wo wir (du und ich) uns begegnen, ist es ja noch recht einfach eine gemeinsame Ebene zu finden, auf der wir sagen können „Ich liebe Dich“ (also dich, Jasna) – na ja, unser Verstand, findet das wohl in jedem Fall absurd – weil er zwischen Dir und mir in jedem Falle trennt – er kann halt nicht anders.

Verständigung, Kommunikation (die, von der ich sprach) ist die gemeinsame Bereitschaft, zu sagen, ich lasse mich auf dich ein, fühle mit dir, bin empathisch usw., weil dein Fühlen, nichts anderes ist als mein Fühlen – „Wir fühlen gleich“. Das ist Liebe, Verbundenheit – alles andere Verstandes-Spiel.

Du siehst, es ist keineswegs Hochmut, sondern schlicht Wahrheit. Alles andere ist Verstand, der dir einredet, es sei anders.

Umarmen, Küssen, zu sagen „Ich liebe Dich“ ist keine Notwendigkeit von Wahrheit – sondern "nur" Ausdrucksform. „Die Liebe genügt der Liebe“, schrieb K. Gibran, sie muss sich nicht selbst bestätigen, weil sie IST. Unser Verstand muss das – einzig.

Unser Tun ist Ausdruck unseres Verstandes – naja, daran ändern wir nichts, weil wir ihn nun mal haben. Deshalb wäre es auch falsch zu sagen, es bedürfe keines Ausdrucks von Liebe. Alles menschliche Tun ist letztlich Ausdruck von Verbundenheit – nur unser Verstand behauptet eben etwas anderes, und, es fühlt sich eben oft ganz und gar nicht so an. Eine bestimmtes Tun, ist deshalb oft nicht in der Wahrheit, weil unser Verstand sein eigenes Spiel spielen will, und Wahrheit als absurd abwertet. Er rechtfertigt sein Tun durch sich selbst. „Ich denke, also bin ich“ ist seine Maxime. - Das nennen wir (deshalb auch) Ego-Spiel.
Daraus wird jetzt vielleicht auch ersichtlich, dass wir nicht Nicht-Kommunizieren können – unsere Verstand macht ständig nicht anderes. Er kommuniziert mit sich selbst – es ist ganz schlicht sein Wesen, sich ständig selbst zu reproduzieren; oder anders gesagt, sich ständig selbst zu beweisen (das er ist). Verstand IST nicht – da meint er nur.
Unser Verstand ist wie Sisyphos – bevor er den Gipfel erreicht hat, rollt der schwere Stein, den er vor sich herschiebt, wieder den Berg hinunter. Das ist alles.

Die Herausforderung spiritueller Erkenntnis, ist unser Verstand. Wir haben ihn, also wäre es töricht, ihn nicht zu benutzen, oder so zu tun, als gäbe es ihn nicht – das möchte er ja gerne erreichen, weil er eben rechthaberisch ist, und immer das letzte Wort behalten möchte.

Es gibt ein Sprichwort bei uns, das sagt. „Der Verstand ist ein guter Gesell´, aber ein schlechter Meister“.
Geselle und Meister gehören halt zusammen – das Eine geht nicht ohne das Andere, nicht?

Mit verbundenen Grüssen,
Wilfried

Jasna Caluk hat gesagt…

Hab Dank lieber Wilfried ...

mit verbundenen Grüssen
Jasna